Die Gefährdung der Demokratie scheint momentan allgegenwärtig. Und sie ist nicht mehr nur abstrakt, wenn – wie zuletzt mehrfach geschehen – Mandatsträger*innen oder Journalist*innen auf der Straße tätlich angegriffen werden. Auch Hass, Abwertung und Ausgrenzung finden nicht nur in sozialen Netzwerken statt, sondern scheinen »geselligkeitsfähig« in Bierzelten oder der Strandbar geworden zu sein. Diese Zustandsbeschreibung fällt zusammen mit dem 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes, das uns vor der Wiederkehr menschenverachtender und volksverhetzender Ideologien schützen sollte. Aber was läuft gerade schief? Haben wir es uns zu bequem eingerichtet in einem System, das wir gar nicht anders kennen, weil viele gar nicht wissen, wie sich ein Leben ohne Demokratie anfühlt? Haben wir verlernt uns als aktive Mitglieder der demokratischen Gesellschaft zu begreifen? Oder erzeugt Demokratie selbst Hürden, die eine Mitgestaltung und Beteiligung aller erschweren? Wie können wir eine Idee für eine solidarische, inklusive und nachhaltige Demokratie entwickeln?
Klicken wir nochmals auf Reset: Wörtlich genommen bedeutet Demokratie die »Herrschaft des Volkes«. In einer repräsentativen Demokratie wird diese durch die Wahl der »Volksvertreter*innen« definiert. Aber ist der alle vier Jahre ausgeübte Gang zur Wahlurne die einzige Verpflichtung, die wir gegenüber der Demokratie haben? Ist dies die einzige Form der Beteiligung und können so die mit einer Demokratie verbundenen Werte in einer Gesellschaft überhaupt verankert werden? Braucht die Demokratie nicht vielmehr eine ständige begleitende Fürsorge und Wachsamkeit, aber auch eine gelebte Kultur, Konflikte und Meinungsverschiedenheiten friedlich und mit der Fähigkeit zum Kompromiss auszutragen? Der amerikanische Philosoph und Pädagoge John Dewey war der Überzeugung, dass ein sinnerfülltes und humanes Leben nur durch das gleichberechtigte alltägliche Miteinander in einer Demokratie gelebt werden kann. Bereits vor 100 Jahren prägte er den Begriff der Demokratie als Lebensform:
»Demokratie ist mehr als eine Regierungsform; sie ist in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfahrung.«
Das partizipativ gestaltete Rahmenprogramm zum Friedensfest lädt dazu ein, Erfahrungen zu teilen, neue Perspektiven zu wagen und vor allem auch, sich aktiv in Diskurse um unser Zusammenleben und unser Werteverständnis einzubringen. Erst jüngst hat der Philosoph Julian Nida-Rümelin auf die zentrale Rolle der Zivilgesellschaft für eine gelingende Demokratie hingewiesen, indem er feststellte:
»Ohne Zivilkultur, ohne eine alltägliche Praxis, die von Toleranz, Respekt und Kooperationsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger getragen ist, erodiert die Demokratie.«
Das vorliegende Programm belegt in eindrucksvoller Weise, wie stark verschiedene zivilgesellschaftliche Vereine, Initiativen, Gemeinden und Institutionen sich für eine respektvolles und tolerantes Zusammenleben in der Friedensstadt engagieren und der »Lebensform Demokratie« Sichtbarkeit verleihen. Gelebt wird sie täglich dank des Engagements vieler Einzelner und einer aktiven und dialogfähigen Bürgergesellschaft, die sich – mitunter auch unbequem - in Entscheidungsprozesse einbringt und bereit ist, selbst Verantwortung zu übernehmen. Das Programm ist auf diese Weise zu einem Spiegel der Stadt geworden, die sich engagiert, Haltung zeigt und über ein enormes »soziales Kapital« verfügt. Dafür sei an dieser Stelle allen Verantwortlichen und den zahlreichen Helferinnen und Helfern gedankt! Möge die Einladung zu den verschiedensten Formaten in der Friedenstadt Augsburg ein Fest für eine lebendige und widerstandsfähig Demokratie werden.